Die Fakten sind bekannt. Mit fast 85% hat der schweizerische Souverän im Jahr 2001 die schweizerische Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen. Auch heute noch genießt die Schuldenbremse, gemäß einer aktuellen Umfrage von Avenir Suisse, eine ungebrochen hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Denn, so die Begründung, sie will, dass die Staatsfinanzen mit der gleichen Vorsicht bewirtschaftet werden, wie dies im eigenen privaten Haushalt gehandhabt wird.
Seit der Abstimmung im Jahr 2001 sind die Bundesschulden von CHF 124 Mrd. auf CHF 104 Mrd. bzw. im Prozent des BIP, von 26.1% auf 16.2 % gesunken. In allen wichtigen Volkswirtschaften der Welt, geschah in dieser Zeit genau das Gegenteil. Die Schulden explodierten, absolut und auch in % des BIP. Die Schweiz gilt deshalb international als Musterschüler und erhält Lob von allen Seiten. Dies auch zum Beispiel vom internationalen Währungsfonds, der sogar befürchtet, man würde vielleicht fast zu viel sparen.
Dies sind Warnungen, die bei Bundespolitikern und Mitgliedern des Bundesrats Begehrlichkeiten geweckt haben, die Schuldenbremse aufzuweichen. Die aktuellen Ideen gehen einerseits dahin, gewisse Positionen am Budget (bekannt ist heute zum Beispiel eine Position im Asylwesen von rund CHF 400 Mio.) und damit der Schuldenbremse vorbeizuschleusen und andererseits, den für den Schuldenabbau vorgesehenen Ausgleichstopf bei Überschüssen, nur noch zu Teilen für die ursprüngliche Bestimmung, nämlich den Schuldenabbau, vorzusehen. Der Bundesrat soll nun bis Ende 2016 einen Bericht vorlegen und prüfen, ob die Regelungen der Schuldenbremse angepasst werden sollen.
Der Haken an der Sache: Wenn man den Schlendrian mit dem Schlendrian vergleicht und dabei der Klassenbeste ist, dann heißt dies noch lange nicht, dass man gut und nachhaltig aufgestellt ist. Aus finanzieller Sicht ist die Eidgenossenschaft in der Tat noch lange nicht nachhaltig geführt. Selbst dann nicht, wenn sie im Vergleich zu allen großen und noch viel weniger nachhaltig operierenden Wirtschaftsnationen hervorragend positioniert scheint.
Die Eid-Genossenschaft, also die Genossenschaft der Eidesbrüder damals bzw. die Bundes-Genossenschaft der Schweizerbürger heute, ist erst dann nachhaltig und damit auch für zukünftige Generationen führbar, wenn sie über eine gesunde Bilanz verfügt. Dies ist heute, trotz bisherigem Schuldenabbau, noch nicht der Fall.
Eine Bilanz ist dann gut, wenn für die Erfüllung der Aufgaben nicht übermäßig Kapital verwendet werden muss sowie, wenn ein akzeptabler Leverage besteht, das heißt in Relation zur Bilanzsumme, eine konservative Eigenmittelausstattung vorhanden ist.
Mit Entsetzen ist nach Ausbruch der Finanzkriese der breiten Bevölkerung die Tatsache ins Auge gesprungen, obschon die Zahlen zuvor schon längst öffentlich zugänglich waren, dass unsere Großbanken über große Bilanzen verfügten, die nur mit einem einstelligen Prozentsatz eigenfinanziert waren. Man reagierte empört darüber, wie wenig nachhaltig diese Banken geführt waren. Aber immerhin, diese Institute verfügten über ein positives Eigenkapital.
Davon ist Bundesbern weit entfernt. Und auch in diesem Fall sind die Zahlen öffentlich verfügbar. Die revidierte Jahresrechnung des Bundes 2015 weist wie schon im Vorjahr ein negatives Eigenkapital von rund CHF 27 Mrd. aus, was rund 25% der Bilanzsumme ausmacht. Nachhaltiges Wirtschaften sieht anders aus. Was braucht es, damit auch in diesem Fall die Bevölkerung empört reagiert?
Mit diesen Zahlen ist Bundesbern auch im gesamtschweizerischen Vergleich einer der Klassenschlechtesten. Bundesbern braucht im Vergleich mit den Schweizer Kantonen, auf der Basis deren Jahresabschlüsse 2015, weit überdurchschnittlich viel Kapital und ist weit unterdurchschnittlich eigenfinanziert. Im Medianwert weisen die schweizerischen Kantone hingegen ein positives Eigenkapital aus, sie sind mit +30% Eigenkapital ausgestattet. Das lässt sich sehen! Der Medianwert der an der Schweizer Börse kotierten Firmen liegt diesbezüglich beispielsweise bei rund 40%. Die schweizerischen Kantone machen es also vor, dass man Politik nachhaltiger betreiben kann, als dies in Bern der Fall ist. Bei dieser Ausgangslage auf Bundesebene über eine Aufweichung der Schuldenbremse zu diskutieren ist deshalb fahrlässig und vor allem alles andere als nachhaltig.
Vereinzelt ist zu hören, zum Beispiel in einem Artikel der NZZ vom 26. August 2016[1], dass die Situation wahrscheinlich nicht ganz so gravierend sei, weil der Bund noch über große nicht ausgewiesene Vermögen verfüge. Nur, wenn dies der Fall ist, dann wäre die revidierte Bundesrechnung falsch und nicht nach dem allgemein gültigen Buchhaltungsprinzip Prinzip True und Fair zusammengestellt. Dies wäre sodann erst recht ein Grund, die Diskussion um die Aufweichung der Schuldenbremse sofort zu stoppen.
Aber dennoch dürfte, sollte sich die Bilanzqualität und die Eigenmittelsituation der Eidgenossenschaft irgendwann einmal qualitativ hochwertig entwickelt haben, über eine andere Definition der Schuldenbremse nachgedacht werden. Warum? Die Schuldenbremse entstammt aus einer Zeit, als das Land noch mit der kameralen Buchhaltung geführt wurde, das heißt, noch keine doppelte Buchhaltung und damit auch noch keine Bilanz vorhanden waren. Die kamerale Buchhaltung ist im Wesentlichen eine Milchmädchenrechnung. Es gibt nur Bareinnahmen und Barausgaben. Mit dieser Logik werden übrigens die meisten Industrienationen der Welt auch heute noch geführt. In der Schweiz ging man weiter. Zwischenzeitlich führen alle Kantone und auch der Bund eine doppelte Buchhaltung und damit auch eine Bilanz. Mit dieser Ausgangslage ließe sich die heutige Schuldenbremse mit einer Zieleigenkapitalquote koppeln. Die Schuldenbremse könnte sodann ausgehebelt werden, wenn diese Eigenmittelausstattung erreicht wäre. Umgekehrt müssten Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden, wenn die Zieleigenkapitalquote unterschritten würde. Auf diesem Wege würde nicht auf Teufel komm heraus gespart, aber die Schulden hätten, wie bei jeder anderen Organisation auch, einen Bezug zu den eigenen Mitteln.
Nachhaltigkeit für die anderen und nicht für sich selbst – das kommt bei den Bürgern schlecht an. Im heutigen Zeitpunkt ist es deshalb absolut falsch, um auf Bundesebene die Schuldenbremse aufzuweichen. Es ließe sich auf Grund der neuen Buchhaltungslogik beim Bund mittelfristig und bei verbesserter Ausgangslage aber durchaus diskutieren, die Schuldenklausel den neuen Gegebenheiten anzupassen, und mit der Eigenmittelausstattung zu verknüpfen.
[1] http://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/volksvermoegen-verwirrende-daten-zu-den-bundesfinanzen-ld.113113