Der Staatsanleihenmarkt[1] ist rund USD 50 Trillionen gross. Er macht rund 50% des Anleihenmarktes aus und ist rund 40% kleiner als der Weltaktienmarkt. Staatsanleihen gelten als sichere Anlagen und deshalb als Qualität. Bei institutionellen und privaten Anlegern geniessen sie in der Portfolioallokation einen hervorragenden Ruf als sichere und risikoarme Anlagen. Auch die Aufsichtsbehörden sind Fans von Staatsanleihen. Im Vergleich zu anderen Assetklassen und Schuldnern müssen Banken und Versicherungen Anleihen von Staaten gar nicht oder nur minimalst mit Eigenkapital besichern. Und dennoch ist es in jeder Beziehung fahrlässig, Staatsanleihen in einem Qualityportfolio zu berücksichtigen. Zum einen, weil es nicht stimmt, dass Staaten per se sicher sind. Ein gutes Drittel aller Länder hat in den letzten 200 Jahren in mehreren hundert Fällen seine Schulden nicht zurückbezahlt oder zu Lasten der Anleger restrukturiert[2], auch in der jüngeren Vergangenheit. Zum anderen genügen Staatsanleihen einer ganzen Reihe von Kriterien nicht, die ein Qualityanleger berücksichtigen muss.
Staatsanleihen sind in aller Regel unbesichert. Das heisst, der Anleger kann in einem Restrukturierungsfall nicht auf zuvor definierte Sicherheiten zurückgreifen. Zudem gibt es kein dem Konkursrecht angelehntes Rechtsverfahren, welches Anleger in einem Restrukturierungsfall schützen könnte. Die fehlende Eigentümersicht in der modernen Demokratiediskussion führt zudem dazu, dass das Eigenkapital keine Bewirtschaftungsgrösse in der staatlichen Finanzsteuerung ist. Damit fehlt für den Fremdkapitalgeber eine wichtige Puffergrösse.
Nur ein Land dieser Erde[3] erstellt einen glaubwürdigen und vor allem vollständigen jährlichen Geschäftsbericht, der einem interessierten Anleger erlaubte, ein qualifiziertes kaufmännisches Urteil über die Qualität des Schuldners zu fällen. Da Vermögenswerte nicht ausgewiesen werden, kann nicht einmal beurteilt werden, ob ein Land überschuldet ist oder nicht. Wenn überhaupt, werden Finanzberichte unvollständig, bestenfalls jährlich und dies auch nur mit grossem Zeitverzug veröffentlicht. Staaten führen ihre Bücher weder nach dem Prinzip True & Fair noch mit international verbindlichen und akzeptierten Buchführungsregeln, obschon es diese gibt und zwar schon seit vielen Jahren. Der Standard der hierbei angewendet werden müsste wäre IPSAS[4], welcher an IFRS, dem Standard für Private Organisationen, angelehnt ist. Ein interessierter Investor findet auch keine Investor Relations Anlaufstelle.
Staaten können zudem einem qualitativ vorsichtigen Anleger nicht gewährleisten, dass die zur Verfügung gestellten Mittel verantwortungsbewusst und nachhaltig eingesetzt werden. Dazu fehlen die primitivsten Führungsinformationssysteme, eine zweckmässige Organisation, eine hinreichende Governance und insbesondere eine unabhängige effektive Aufsicht. Bei qualitativ guten wie schlechten Unternehmen, sind die Führungsinformations-, Rapportierungs- und Planungssysteme auf einander abgestimmt und in sich konsistent und logisch. Dies ist bei Staaten nicht der Fall. Die staatliche Führung und Planung baut weitgehend auf der Cashmethode auf, einer Milchmädchenrechnung, die keine Bilanz und keine periodenabgegrenzte Erfolgsrechnung kennt, die keinen Unterschied zwischen Ausgaben und Investments macht, bei welcher Schulden und Verkäufe von Vermögenswerten als Einnahmen gelten und Kapitalkosten ignoriert werden. Mit anderen Worten, die Führungsinformationssysteme beim Staat sind um Lichtjahre schlechter als beim schlechtesten Börsenkonzern der Welt. Es fehlen die wichtigsten Entscheidungsgrundlagen für gute Entscheide. Einem Qualityinvestor ist es zudem wichtig, dass in grossen und komplexen Organisationen Verantwortlichkeiten mit einer zeitgemässen Governance geregelt sind. Staaten sind für die Ewigkeit installierte, non for Profit Genossenschaften, die vom Bürger als Principal als oberste Instanz geleitet werden, an welchen jeder Bürger nur einen Anteil hat und welche strategisch und operativ von Politik und Verwaltung treuhänderisch als „Agenten“ geführt werden. Die Zusammenarbeit von Parlament, Regierung und Verwaltung als „Kette von Agenten“, genügt aber dem Anspruch einer zeitgemässen Governance nicht, was zu Lasten der Accountability geht. Parlamente sind viel zu operativ tätig, die Regierung amtet meist ohne hinreichende Qualifikation als strategisches und operatives Leitungsgremium und in der Verwaltung sind keine operativ verantwortlichen Konzernleitungen eingesetzt. Jedes Ministerium arbeitet als Kammer mit unzähligen Ämtern vor sich hin, was unter anderem dazu führt, dass keine Gesamtsicht erfolgt, Gemeinkosten nicht umverteilt werden und damit der Staat in den meisten Fällen im naiven Glauben ist, kompetitiv mit Privaten zu sein, zumindest da wo Wettbewerb herrscht[5]. Eine gute Governance zeichnet sich aus der Qualityperspektive auch durch eine effektive unabhängige Aufsicht aus. Bei den meisten Staaten ist die Aufsicht aber nur auf dem Papier unabhängig und meist so knapp dotiert, dass es bestenfalls zu Stichproben reicht, nicht aber zu einer leistungsfähigen Aufsicht.
Nachhaltigkeitsgurus werden irgendwann weiter gehen und zum Beispiel Klima- oder Menschenrechtsthemen in ihre Analysen einbeziehen. Soweit möchten wir hier nicht gehen und lediglich feststellen, dass aus unserer Qualitysicht Staatsanleihen im Portfolio nichts verloren haben, selbst dann nicht, wenn sie besser rentierten. Philipp Weckherlin 2018
[1] Darin sind Anleihen von staatsnahen Betrieben nicht berücksichtigt
[2] https://journalistsresource.org/wp-content/uploads/2012/12/MIT-Press_Sovereign-Defaults-and-Debt-Restructurings.pdf
[3] Dabei handelt es sich um Neuseeland, welches in den folgenden Ausführungen immer ausgenommen wird. Alle getroffenen Aussagen gelten nicht für Neuseeland.
[4] International Public Sector Accounting Standards
[5] Dies ist natürlich völliger Unsinn, wenn man seine Teilkosten (ohne Gemein- und Kapitalkosten) mit den Vollkosten von Privaten vergleicht.