Zur Qualität der finanziellen staatlichen Governance
Bilanz, Mittelflussrechnung, Erfolgsrechnung: Dies sind die wichtigsten Bausteine der professionellen kommerziellen Führung und Berichterstattung von Organisationen, egal ob sie als Verein, Aktiengesellschaft, Genossenschaft oder gemeinnützige Organisation ausgerichtet sind. Darauf basieren Führungskräfte, Anteilseigner aber auch Steuerbehörden ihre Entscheidungen. Je grösser und komplexer die Organisation, desto grösser der Bedarf, mit Hilfe von Zahlen, die Komplexität zu durchdringen. Unternehmen investieren weltweit Milliarden in ihre Managementinformationssysteme, um ihre internen Zusammenhänge aus allen Blickwinkeln zu durchleuchten und ihre Entscheidungsqualität zu erhöhen. Die Unternehmen werden dabei von einer Heerschar von Organisationen, Beratern, Revisoren, Finanzexperten und Wissenschaftlern bei der Suche von neuen Zusammenhängen und der Definition von Rechnungslegungsstandards unterstützt. Dem neugierigen und verantwortungsbewussten Unternehmensführer und Investor stehen damit Informationen zur Verfügung, mit welchen die bestmöglichen Entscheide gefällt werden können. Die hohe Transparenz vor allem im Segment der börsenkotierten Unternehmen, bietet zudem Journalisten, Finanzkommentatoren, Brokern aber auch Nachhaltigkeitsorganisationen, die Basis, um ihre Urteile zu fällen und darauf ihre Geschäftsmodelle abzustützen. Natürlich können auch trotz guter Datenlage Fehlentscheide fallen, sei dies, weil Fakten ignoriert oder falsch interpretiert werden, oder die Zukunft sich anders als die Vergangenheit verhält. Die Fehlentscheidungsrate wäre aber ohne die heutige Datenlage grösser. Das Führen von und mit Bilanzen, Mittelfluss- und Erfolgsrechnung ist für private Gesellschaften, losgelöst ihrer Organisationsform, der Alltag – nicht nur weil es der Gesetzgeber verlangt, sondern weil es sinnvoll und notwendig und damit die Voraussetzung ist, um mit einer transparenten Ausgangslage nachhaltig zu wirtschaften. Heute kann sich niemand erlauben, nicht einmal ein Privathaushalt – auch er muss für die Steuerbehörden sein Nettovermögen und seine Einkünfte offenlegen – seine Geschäfte lediglich mit einer Milchmädchenrechnung zu führen.
Der einzige, welcher heute noch seine Geschäfte mit einer simplen Milchmädchenrechnung führt ist der Staat. Nur einer von 35 OECD Staaten kann 2016 mit gutem Gewissen davon ausgenommen werden. Zur Erinnerung, mit Ausnahme Chinas, sind in der OECD alle wichtigen und entwickelten Volkswirtschaften zusammengefasst. Die Daseinsberechtigung des Staates ist es, als Servicekonzern seiner Bürger, diesen Dienstleistungen im Bereich zum Beispiel der Gesundheit, Bildung, Umverteilung oder Rechtssicherheit zu bieten. Hierfür müssen die Verantwortlichen Umsatz generieren, Kosten verursachen und investieren und damit Führungsfunktionen wahrnehmen, wie dies in jeder Organisation der Fall ist. Der einzige Unterschied liegt darin, dass der Staat nur in seinem Mittelfluss positiv sein muss und keine Gewinne zu erzielen braucht und kein Mehrheitseigner besteht. Damit gleicht der Staat einer gemeinnützigen Genossenschaft. Nur, er ist nicht als solche geführt.
Die doppelte Buchhaltung, mit Bilanz, Mittelfluss- und Erfolgsrechnung ist in der Führung der Staaten nicht etabliert, obschon es sich hierbei um substantielle und komplexe Wirtschaftssubjekte handelt, an deren nachhaltiger Führung alle Bürger ein besonders hohes Interesse haben müssten. Staaten werden, mit einer Ausnahme, nach wie vor mit der Milchmädchenrechnung geführt, wofür der Fachbegriff Kameralistik verwendet wird, einer Buchhaltungslogik aus dem Mittelalter. In der Kameralistik gibt es weder Bilanzen noch Erfolgsrechnungen noch ein Eigenkapital, schon gar nicht konsolidiert, es gibt nur eine rudimentäre „Free Cashflow“ Betrachtung, welche lediglich Einnahmen und Ausgaben unterscheidet. Diese nur gilt es sodann gemäss den gängigen Verfassungsbestimmungen der OECD Staaten zu führen. Wirtschaftliche Zusammenhänge werden dabei nicht periodengerecht abgegrenzt und nur dann verbucht, wenn sie zur Ein- oder zur Auszahlung gelangen. Eine Schuldaufnahme gilt als eine Einnahme. Investitionen sind wie Kosten, sie werden dann verbucht, wenn sie bezahlt werden – und nicht zum Zeitpunkt, in welchem der Nutzen anfällt. Investitionen sind deswegen nicht sehr beliebt, da sie das laufende Budget übermässig belasten. Für die Bilanz ist als Folge niemand wirklich verantwortlich, weder für das Eigenkapital, noch für die Kapitalbindung noch für die Verbindlichkeiten. Wer ist da noch darüber erstaunt, dass die staatlichen Schulden explodieren oder da und dort die staatliche Infrastruktur in ihrer Qualität zu wünschen übrig lässt? Dies ist jedenfalls keine Basis für Qualität und Nachhaltigkeit.
Kritiker mögen entgegnen, dass sich viele OECD Staaten verpflichtet hätten, die doppelte Buchhaltung einzuführen und einige der Mitglieder in ihrer Professionalität grosse Fortschritte gemacht hätten womit die Kritik nicht mehr angebracht sei. Gewisse Fortschritte sind ohne Zweifel feststellbar, insbesondere was das Reporting anbelangt, aber die Qualität des Erreichten ist noch gering und es wird vor allem nicht damit geführt. 16% von 32 Staaten einer OECD Studie basieren 2016 ihre finanzielle Berichterstattung für vergangene Perioden alleinig auf der Kameralistik, 72% verwenden die doppelte Buchhaltung, 13% eine Mischform von Kameralistik und doppelter Buchhaltung. Bei der Mehrheit sind die Berichte aber, wie in der Studie festgestellt wird, in ihrer Qualität mangelhaft, weil sie gerade in bilanziellen Fragen noch fehler- und lückenhaft sind und/oder kein konsolidiertes Bild über aller wirtschaftlich zugehörigen Einheiten ermöglichen. Es tut sich am Thema der ex-post Berichterstattung etwas, auch wenn die Qualität noch zu wünschen übrig lässt. Anders sieht dies bei der Budgetierung aus, der nach vorne gerichteten wirtschaftlichen Führung mit Zahlen. 56% der OECD Staaten budgetieren ihr Gesamtzahlenwerk alleinig mit der kameralen Logik, 13% mit einer Mischform und 31% mit der Logik der doppelten Buchhaltung – davon ist aber die Bilanz ausgenommen. Es ist bekannt, dass namhafte Staaten keine Absicht hegen, ihren bisherigen kameralen Budgetprozess abzulösen und diesen zu professionalisieren. Nur 1 (3%) Land arbeitet in seinem Budgetierungsprozess mit einer Planbilanz, gesamthaft und auf der Ebene der Ministerien. Nur eines der OECD Länder wird also von dessen Politik und Verwaltung wie eine moderne und vor allem nachhaltig aufgestellte Organisation geführt. Alle anderen Länder genügen nicht, da deren öffentliche Hand auf Bundesebene ungebrochen mit einer Milchmädchen Rechnung geführt werden. Dies trifft auch dann zu, wenn rückwirkende, aber für die operative und strategische Staatsführung irrelevante Reports, nach der doppelten Buchhaltungslogik publiziert werden, erst recht, wenn diese qualitativ ungenügend sind. Alle Regierungen, mit der genannten Ausnahme, erlauben keinem Anleger, sich ein wirtschaftlich abgestütztes Urteil zu bilden, und sie können vor allem ihren Bürgern gegenüber nicht beweisen, dass sie dessen Substanz und Steuersubstrat schützen, wirtschaftlich einsetzen und nachhaltig regieren. Weshalb die Finanzmarktaufsicht solche Investitionen als risikofrei definiert ist unklar. Es ist schon etwas ein Affront, wenn die Politik von ihren Bürgern ein verantwortungsvolles Wirtschaften, Transparenz und Nachhaltigkeit einfordert, in eigener Sache sich aber genau gegenteilig verhält – umgekehrt könnte aber gerade darin ein gewaltiges Potenzial für Verbesserungen liegen, um Wachstum und Produktivität wieder zu steigern.